Mit der Historia entwickelte sich im 17. Jahrhundert in der protestantischen Kirchenmusik eine Gattung, die in Worten der Lutherbibel über das Oster-, Passions- und Weihnachtsgeschehen berichtet.
Der schon zu Lebzeiten weit gerühmte Dresdner Hofkapellmeister Heinrich Schütz griff bereits 1623 auf diese Form zurück. Und als er seine Weihnachtshistorie 1664 im Druck veröffentlichen ließ, ersetzte diese die ältere Historia in der Vertonung von Schütz’ Amtsvorgänger Rogier Michael deren Text Schütz größtenteils übernahm.
Wie mannigfaltige Traktate und Vorworte gedruckter Musikalien des 17. Jahrhunderts oft darauf verweisen, die aufzuführenden Werke entsprechend den Gegebenheiten und Möglichkeiten vor Ort anzupassen, so teilt Schütz auch in seinem Vorwort zur Weihnachtshistorie mit, dass er „es frey stellen thut, solche Zehen Concerten (derer Texte auff diesen Abdrücken, auch mit zu befinden sind) auff die ihnen beliebende Manier und vorhandenes Corpus Musicum, gar auffs neue anders selbst aufzusetzen, oder durch andere componiren zu lassen.“ Dieser Ansatz hat das Ensemble Polyharmonique dazu inspiriert, eine alternative und für das Ensemble praktikable Version der Weihnachtshistorie zu erstellen.
Die daraus entstandene HISTORIA NATIVITATIS folgt formal strikt der Intention des Sagittarius und wurde für ein „Corpus Musicum“ von sechs Gesangsstimmen, zwei Violinen, Dulzian und einen farbigen Basso continuo (Orgel, Regal, Theorbe, Barockharfe, Violone) eingerichtet. In Archiven und Bibliotheken ließen sich dafür aus zeitgenössischen, vornehmlich mitteldeutschen Quellen teils unbekannte Musiken von Andreas Hammerschmidt, Samuel Scheidt, Wolfgang Carl Briegel, Johann Georg Carl, Stephan Otto u. a. finden, die exakt den Textvorlagen entsprechen. Es liegt eine Historia vor, wie sie möglicherweise damals in Mitteldeutschland in einer Christvesper erklungen sein könnte. Sie verbindet großartige Kunstmusik mit den traditionellen weihnachtlichen Weisen mitteldeutscher Provenienz und transformiert sich in ihrem Verlauf zu einem lebendigen Oratorium, das hier von dem berühmten Ensemble Polyharmonique unter Berücksichtigung der historischen Aufführungspraxis interpretiert wird.
»Das Ensemble ist in bestechender Form. Johannes Gaubitz trägt den Evangelientext sprechend
und klar verständlich vor, und im Ensemble haben sich einige der besten Sänger und Instrumentalisten in diesem Repertoire versammelt. Diese Produktion ist zweifellos eine der besten und interessantesten der letzten Jahre.« Toccata, März-April 2022